Warum läuten denn die Kirchenglocken von St. Ludwig jeden Tag um 8 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr, obwohl doch (wenigstens zur Zeit) gar kein Gottesdienst danach stattfindet? Die Glocken mahnen zum Morgen-, Mittag- und Abendgebet, ganz ähnlich wie der fünfmalige Gebetsruf des Muezzin in islamischen Ländern!
Vermutlich hat der heilige Franz von Assisi diese Tradition aus dem Orient nach Europa mitgebracht, als er vor gut 800 Jahren waffenlos die Kreuzfahrer begleitete und in Damiette (Ägypten) den Sultan besuchte. Jedenfalls verbreiteten die Franziskaner im 13. Jahrhundert das Gebet vom „Engel des Herrn“ auf der ganzen Welt.
Der Papst betet – wie schon seine Vorgänger – fast jede Woche vom Fenster seines Arbeitszimmers aus mit den Gläubigen auf dem Petersplatz den „Engel des Herrn“, auf Lateinisch: „Angelus“.
Die Glocke läutet und sagt etwas:
- Am Morgen weckt sie uns und erinnert uns daran, Gott „Danke“ zu sagen, dass er uns die Nacht über behütet hat. Das Dunkel der Nacht ist vorüber. Ein neuer Tag bricht an.
- Am Mittag laden die Glocken ein zur Pause. Verschnaufen auf der Höhe des Tages. Innehalten.
- Am Abend dann läuten die Glocken zum Abendgebet. Sie läuten den Feierabend ein. Die Glocken erinnern uns daran, dass es für heute genug war mit unserem Tun. Wir dürfen rasten und ruhen.
Glocken läuten. Sie begleiten uns durch den Tag.
Dreimal am Tag erinnern sie uns daran, dass Gott in Jesus in unsere Welt gekommen ist, Mensch wurde, um bei uns zu sein. Dass diese Welt nicht „gottlos“ ist. Er ist unser Weggefährte.
Gott geht auf die Menschen zu. Er ruft uns ganz persönlich beim Namen. Vielleicht tun wir uns heute schwerer, den Anruf Gottes zu entdecken. Aber in den Ereignissen der Zeit, die mich herausfordern, in den Begegnungen mit Menschen, die vielleicht meine Hilfe brauchen oder auch in persönlichen Erfahrungen von Freude, von Krankheit, von Leid, von Konflikten, kann ein solcher Anruf Gottes stecken.
Gott lässt den Menschen die Freiheit der Entscheidung. Aber er wartet auf die Antwort. Die Welt wird sich vom Glauben her nur verändern lassen, wenn Menschen bereit sind, bei der Initiative Gottes mitzumachen. Das Gebet erinnert daran, dass da jemand war, der sich darauf eingelassen hat, „Ja“ gesagt hat, und so das Unglaubliche geschehen konnte: das war Maria.
Wie sieht meine Antwort aus? Gott lässt auch uns einen Raum des Fragens und des Suchens. Auch gläubige Menschen wissen manchmal nicht, was Gott von ihnen will. Auch sie kennen Zweifel und stellen Fragen. Das braucht uns nicht irre zu machen. Denn auch Maria hat gefragt. Auch sie hat erst nach Orientierung gesucht. Aber es kann uns Mut machen, dass diese einfache Frau aus dem Volk Israel dann zu einer klaren Antwort kam: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn.“
Dreimal im Laufe des Tages sich daran erinnern, das kann den Tag durchformen mit all seinen Herausforderungen und Ängsten. Das kann mir das Gefühl geben, auch in stürmischen Zeiten getragen zu sein, und zwar genau heute und jetzt. Jesus ist mein Weggefährte. Was kann uns dann noch von der Liebe Gottes trennen?
Mit diesem Glauben durch den Tag zu gehen, stärkt meinen Schritt. Er lässt mich aufrecht gehen, auf- und durchatmen. Ich weiß: Jesus, Gott geht mit! Glockenklang tut gut! Mitten in unserer Weltzeit bringen sie die Gotteszeit zum Klingen.
Unsere Uhren bestimmen die Quantität der Zeit: Wie spät ist es? Die Glocken dagegen bestimmen die Qualität der Zeit: Welche Zeit ist es?
Die Glocken laden ein: „Nimm dir doch einen Augenblick Zeit und genieße dein Leben. Der Augenblick ist jetzt!“
„Selbst Gott braucht die Werbung. Er hat Glocken“, bemerkte der französische Journalist und Schriftsteller Aurelien Scholl (1833-1902).
Mich hat sehr nachdenklich gemacht, wenn mir ein Patient im Krankenhaus erzählt hat: „Nach meiner Operation hatte ich plötzlich viel Zeit. Die Tage und Stunden haben sich quälend langsam hingestreckt. Da war mir der ‚Engel des Herrn’ eine Hilfe zu sehen: Auch in der Zeit, in der du nichts tun kannst, auch in diesen Lebensphasen bist du von Gott getragen.“
Vielleicht probieren Sie es selbst einmal. Wenn Sie die Glocken hören, dann verbinden Sie es einfach mit Ihrem kurzen Gebet.
Dreimal im Gedränge eines Tages läutet es von vielen Kirchtürmen den „Angelus“. An uns liegt es, diesen alten Brauch als tägliche Bereicherung anzunehmen und ein paar Glockenschläge lang an die Grundwahrheiten unseres Christseins zu denken.
So einfach geht das Gebet:
Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft, und sie empfing vom Heiligen Geist. – Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
Maria sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort. – Gegrüßet seist du, Maria …
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. – Gegrüßet seist du, Maria …
(Das nachfolgende Gebet kann noch angefügt werden)
V Bitte für uns, heilige Gottesmutter, A dass wir würdig werden der Verheißung Christi.
V Lasset uns beten. – Allmächtiger Gott, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Lass uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen.
P. Maximilian Wagner
Tipp: Abonnieren Sie die >>„Mail zum Sonntag“, den Newsletter des Erzbistums Berlin, der zur Zeit täglich um 18 Uhr die Erinnerung der Glocken unterstreicht.