Predigt: Pfr. Thomas Pfeifroth | 7. Februar 2021

Ijob 7,1-4.6-7 und Markus 1,29-39


Liebe Schwestern und Brüder, seit zwei Wochen habe ich mir eine strikte Reduzierung von Corona-Nachrichtensendungen auferlegt, sonst drehe ich durch! Die Corona-Krise belastet mich und damit bin ich sicherlich in bester Gesellschaft. Gut, die Fallzahlen fallen, aber die neuen Hiobsbotschaften zu den Corona-Mutanten beunruhigen mich doch sehr.

Warum greift Gott in dieses Geschehen nicht ein? Wo ist Gott in dieser Pandemie? Wie können wir an einen uns liebenden Gott glauben angesichts des Leids in der Welt? Ist das Virus gar eine Strafe Gottes? Ja, gibt es Gott überhaupt?

Genau mit diesen Fragen schlägt sich auch Ijob herum, von dem wir heute in der Lesung gehört haben. Er, ein rechtschaffener Mann, wird von schwerem Leid getroffen: Er verliert unverschuldet seinen Besitz, seine Dienerschaft und seine zehn Kinder. Schließlich wird er mit schwerem Aussatz geschlagen. Er klagt und verflucht den Tag seiner Geburt. Seine Klage steigert sich zur Anklage Gottes. Ja, er fordert ihn zu einer Antwort heraus. Warum trifft schweres Leiden schuldlose Menschen?

Wie kann ich noch an dich glauben, Gott?

Wo bist Du angesichts der Corona-Pandemie? Oder grundsätzlicher gefragt:

  • Wo warst du – Gott – als dein eigener Sohn, Jesus, am Kreuz qualvoll starb?
  • Wo warst du – Gott – als dein von dir auserwähltes Volk in den Gaskammern von Auschwitz starb?

An der Frage des Leids der Juden stellte sich diese Frage erneut und vertieft. Das Leid der Shoa steht exemplarisch für alles Leid der Welt. Wie kann man von Gott noch nach Auschwitz sprechen?

Juden und Christen haben nach dem zweiten Weltkrieg nach Antworten gesucht. Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Antwortversuche wiedergeben.

Gott ist tot. So sagt Rabbi Rubenstein und er belegt das mit einem einfachen gedanklichen Dreischritt: Erstens: Gott kann es unmöglich erlaubt haben, dass der Holocaust geschehen ist. Zweitens: Der Holocaust ist aber geschehen. Deshalb, drittens, existiert Gott nicht. Leid, welcher Art auch immer, als Argument gegen die Existenz Gottes.

Gott ist Strafender. Dass Gott die Gräuel der Nationalsozialisten als Strafe für die Sünden seines Volkes zugelassen hat, wurde wieder verworfen. Denn wenn wir sagen: Es gibt eine Ursache (also die Sünden der Juden) und eine Wirkung (also die Shoa), dann haben wir die Arroganz zu sagen: Ich weiß, warum welche Sachen in der Welt passieren. Nur Gott weiß das! Wir wissen es nicht.

In eine ähnliche Richtung geht die Vorstellung: Gott ist allmächtig. Im Gegensatz zu Gott fehlt uns schlichtweg der Überblick, um alles zu verstehen. Wir können nur ein sehr kleines Segment der Wirklichkeit sehen. Deshalb kann man an der Vorstellung, dass Gott allmächtig ist, festhalten.

Hans Joas, der an der theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität lehrt, hat hingegen bei seiner Rede 1984 auf dem Katholikentag in München zum Gottesbegriff nach Auschwitz die These formuliert: Gott ist teilweise ohnmächtig.

Von Gott sagen wir, dass er allgütig, allwissend und allmächtig ist, sonst wäre er nicht Gott. Wenn man jedoch intellektuell redlich sein will, so Joas, dann muss man von den klassischen Eigenschaften Gottes, Allgüte, Allwissen und Allmacht, die dritte Eigenschaft streichen. Denn Gott hat, als er die Welt erschuf, dieser die Freiheit geschenkt und damit seine eigene Allmacht eingeschränkt. Deshalb kann auch Gott in Jesus Christus am Kreuz ohnmächtig sterben. Der teilweise ohnmächtige Gott kann dennoch als Gott gedacht werden. Gott ist in diesem Fall die Weisung, der Wegweiser, der uns verpflichtet. Aber er ist nicht jemand, der von jenseits des Weltalls beliebig in die menschlichen Dinge eingreifen kann.

Gott ist trotzdem

Zum Schluss hat noch der KZ-Überlebende Emil Frankenheim das Wort, der sagt: Gott ist trotzdem. Gott hat im Holocaust sein Angesicht verborgen. Er tut dies, um den Menschen und der Schöpfung Raum für Freiheit zu geben – dass das Gute und das Böse gleichermaßen stark werden können. (Gott schränkt sich also in seiner Allmacht ein, ganz so, wie es Hans Joas denkt.) Wenn man anfängt, an Gott zu zweifeln, so Frankenheim, dann tut man Hitlers Job. Genau das wollte doch Hitler erreichen: Dass die Juden ihre religiöse Identität, ihre Tradition und ihr Erbe aufgeben. Den Nationalsozialismus darf man nicht im Nachhinein siegen lassen.

Diese letzte Deutung des Leidens, liebe Schwestern und Brüder, liegt ganz auf der Linie des Buches Ijob. Denn der Hintergrund der Schicksalsschläge Ijobs bildet ein Gespräch zwischen Gott und dem Satan. Der Satan wettet mit Gott, dass Ijob durch sein Leid von Gott abrückt und er, der Satan, siegen wird.

  • Gott ist tot.
  • Gott ist strafend.
  • Gott ist allmächtig.
  • Gott ist teilweise ohnmächtig.
  • Gott ist trotzdem.

Zu welchen, der oberen Gottesvorstellungen neigen sie, liebe Schwestern und Brüder?

Der Name Ijob leitet sich sprachgeschichtlich vom akkadischen ajja-abu ab, was so viel heißt wie: Wo ist mein Vater-Gott? im Sinne von Wo ist Gott? Zugleich klingt im Wort Ijob das hebräische Wort ojeb an. Es bedeutet Feind. Ijob spielt darauf direkt an, wenn er Gott fragt: Warum verbirgst du ein Angesicht und siehst mich an als deinen Feind? Gott scheint Ijob Feind geworden zu sein. Zugleich wandeln sich seine Freunde, die Ijob in seiner Gottsuche helfen wollen, zu seinen Feinden. Er wird angefeindet und er selbst feindet Gott und seine Freunde an.

Gott hält unser Klagen aus

Seien Sie versichert, liebe Geschwister, meine Intention ist es nicht, dass Sie Gott als Feind betrachten, so wie es Ijob lange Zeit getan hat. Dennoch möchte ich Sie eindringlich ermutigen mit Gott zu kämpfen. Klagen Sie Gott an! Ein Drittel der Psalmen sind Klagepsalmen. Klagen Sie bei Hiobsbotschaften aller Art, die Sie verkraften müssen! Ijob hat es uns vorgemacht. Gott hält das aus. Mehr noch; es ist Gebet, das mich in meinem Glauben reifen lässt. Wir alle müssen unsere Zweifel an Gott aushalten und ausdrücken. Das gehört zu einer jeden echten Beziehung dazu.

Schließlich antwortet Gott auf Ijob Klagen und Anklagen. Nicht jedes Leid, so Gott, ist Folge einer persönlichen Schuld. Warum es das Leid überhaupt gibt – hier bleibt Gott vage: Es sei ein unergründliches Geheimnis, das bei ihm, Gott, aufgehoben sei. Auch wenn die Worte für Ijob ungenügend sind, so findet er doch seinen Frieden mit Gott, da Gott ihn direkt angesprochen hat. Daraus kann er nun leben, auch wenn es das Leid nicht erklärt.

Weil Gott uns in Freiheit setzt, deswegen muss er sich selbst beschränken und teilweise ohnmächtig sein. Ich finde diesen Ansatz sehr überzeugend. Dennoch werden die Lesungen des heutigen Sonntags gespannt von Ijob zu Jesus, der die Schwiegermutter des Simon heilt, Dämonen austreibt und viele andere Kranke heilt.

Liebe Geschwister im Glauben, ich wage daran zu glauben, dass Gott in die Welt eingreift, ich wage an Wunder zu glauben, weil ich in der gleichen Intensität darunter leide, dass sie so häufig nicht geschehen. Ich versteife mich weder in den Gedanken, dass ein Wunder geschehen muss, noch in den Gedanken, dass Wunder nicht möglich seien.

Und ich halte fest an Gott, trotz Corona-Pandemie. Amen.