Predigt: Pfr. Thomas Pfeifroth

Joh 2, 13–25


Heute, liebe Schwestern und Brüder, erleben wir im Evangelium einen äußerst zornigen und aggressiven Jesus. Er ist so wutentbrannt aufgrund des Treibens im Vorhof des Jerusalemer Tempels, dass er sich nicht scheut, eine Geißel aus Stricken zu machen, um damit die Händler und Geldwechsler mitsamt dem Opfervieh hinauszutreiben. Das Geld der Wechsler schüttet er einfach aus und stößt die Tische um. Anlass, heute einmal über Aggressionen nachzudenken.

Im Alten Testament wird nicht weniger als 375-mal vom Zorn Gottes gesprochen. Wir alle kennen Zorn und Wut. Und doch ist uns – gerade im kirchlichen Bereich – nicht wohl damit. Müssen wir Zorn nicht unterdrücken oder überwinden? Ist Zorn nicht Sünde? Die Rede vom zornigen Gott, wie er uns gerade im Alten Testament präsentiert wird, wird gerne banalisiert oder harmonisiert. Das sei doch durch die Liebe Jesu überwunden, wird dann behauptet; und wir nehmen sein heute geschildertes Verhalten oder überhaupt sein kompromissloses, oft spitzzüngiges und aggressives Verhalten den Pharisäern und Schriftgelehrten gegenüber nicht wirklich ernst.

Zorn ist etwas zutiefst Menschliches

Jesus war voll und ganz Mensch. Zum Menschsein gehören Gefühle wie Zorn und Wut. Gott hat uns mit diesen Emotionen geschaffen. Würden wir also Aggression grundsätzlich als eine zu überwindende Sünde ansehen, dann würden wir an der guten Schöpfungsordnung Gottes zweifeln. Gott schuf den Menschen und sah, dass er gut war.

Aggression ist nicht das Gegenteil von Liebe, sondern Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Liebe. Und gleichgültig ist Jesus nicht der Welt gegenübergetreten.

Das Wort Aggression kommt vom lateinischen, bzw. italienischen Wort ad-gredere, was so viel heißt wie herangehen, anpacken, in Angriff nehmen. Es ist also eine aktive Handlung, mit der man sein Leben gestaltet. Wer Ärger, Wut und Zorn auf Dauer unterdrückt, schneidet einen wichtigen Teil seiner menschlichen Lebendigkeit und Ausdrucksfähigkeit ab. Er wird apathisch, lustlos und depressiv. Man begegnet dann seinen Mitmenschen auf lange Sicht feindselig; hinterhältiges Gerede und falsche Freundlichkeit herrschen vor.

Papst Franziskus hat es in seiner unverwechselbaren Sprache so ausgedrückt: Und wenn du etwas gegen deinen Bruder hast, dann sag’s ihm ins Gesicht. Das endet vielleicht in einer Rauferei, aber das ist immer noch besser als der Terror von Klatsch und Tratsch.

Liebe Geschwister, wenn wir uns Gott vorstellen, dann können wir das nur in menschlichen Kategorien, wohl wissend, dass er viel, viel mehr ist, als wir uns vorstellen können. Wir sagen dann wie beispielsweise im 131sten Psalm, dass wir bei Gott ruhig und still werden wie ein Kind bei seiner Mutter. Gott ist also lieb und fürsorglich wie eine Mutter zu ihrem Kind.

Zorn als Reaktion auf Unrecht in der Welt

Gott kann aber eben auch zornig sein. Der Zorn Gottes ist sicherlich keine Eigenschaft Gottes, aber eine Reaktionsweise Gottes auf Unrecht, das tagtäglich geschieht.

Es zürnt ihn, wenn Menschen auf der ganzen Welt ihre Macht missbrauchen, um andere zu unterdrücken. Seien es Staatspräsidenten, Vorstandsvorsitzende, Gruppenführer, Väter oder Mütter, Pfarrer und Bischöfe, ganz egal in welcher Position auch immer.

Er wird zornig, wenn Menschen meinen, weiterhin ihre Mitmenschen aus Profitgier ausbeuten zu können und Gott mit einem Almosen an die Armen oder ein Opfer, das sie aus der Portokasse zahlen, besänftigen zu können. Das ist ja genau das, was Jesus im Tempel zur Weißglut bringt.

Der Tempel von Jerusalem ist nicht irgendein Ort, er ist der religiöse und politische Mittelpunkt des Judentums. Jesus tritt dort als Störenfried auf, weil er nicht einverstanden ist mit dem Tempelbetrieb. Der Tempel ist in seinen Augen nicht mehr ein Ort der Begegnung mit Gott, das ganze Treiben verhindert geradezu eine wirkliche Gottesbegegnung.

Die Menschen kommen, wechseln das römische Geld in jüdisches bei den Geldwechslern um, kaufen dann je nach den finanziellen Möglichkeiten ein Rind, ein Schaf oder eine Taube und lassen dieses Opfervieh dann von den Priestern für Gott opfern. Damit meinen sie dann, ihren religiösen Pflichten genüge getan zu haben. Es ist so, wie wenn wir sonntags zum Gottesdienst kommen, halt eben auch etwas Geld in die Kollekte werfen, aber sobald wir den Kirchenraum verlassen haben, uns Gott und seine Weisungen egal sind, das Betrügen und Lügen weitergeht. Faktisch verführt die Tempelfrömmigkeit dazu, nicht umzukehren – deshalb schreitet Jesus ein. Jesus will wirkliche Umkehr und Gottesbegegnung. Für ihn ist der Tempel zum Symbol der Taubheit gegenüber Gott geworden.

Zorn befreit und macht Mut

Es gibt eine aufbauende, konstruktive Aggression, die wir hier bei der Störaktion Jesu vorfinden. Jesus liegt etwas an den Menschen, deshalb führt er sich wie ein Berserker auf.

Ihm war sicher bewusst, was für Konsequenzen seine Aktion hervorrief. Die Tempelhändler und Geldwechsler erstatteten garantiert eine Meldung beim Tempelhauptmann, der priesterlichen Aufsichtsbehörde. Die Hohenpriester wollten ihn nach dieser Tat endgültig eliminieren.

Jesus riskiert sein Leben. Aber er wollte kaum seinen eigenen Tod. Er wollte den Glauben Israels!

Das ist doch auch das, was wir an ihm so bewundern – mir geht es auf jeden Fall so: er gibt seine Überzeugungen und seine Haltung nicht auf, er gibt sie nicht preis, nur um sein Leben zu retten. Lieber gibt er in diesem Kampf sein Leben hin, als dass er es preisgibt.

Das ist der Geist, den wir immer wieder bei Menschen auch unserer Tage bewundern: die sich für eine gute Sache einsetzen, und sei es, dass es ihr Leben kostet. Die vielen Oppositionellen, die auf der ganzen Welt viel riskieren, oft ihr Leben. Frauen und Männer, die auch in unserer Kirche ihren Zorn gegenüber ungerechten Strukturen und Machtmissbrauch zum Ausdruck bringen. Die Jugend, die zornig auf uns Älteren ist aufgrund des Klimawandels.

Der konstruktiven Aggression Jesu begegnen seine Widersacher nicht, indem sie sich dieser Konfrontation aussetzen und mit ihm argumentativ kämpfen. Sie wählten lieber die destruktive Form der Aggression, indem sie ihn am Kreuz umbringen und meinen, ihn damit mundtot machen zu können.

Aber die destruktive Aggression hatte nicht das letzte Wort. Das ist das Mutmachende und Befreiende! Sie konnten ihn nicht mundtot machen. Er ist auferstanden. Er ist aufgestanden gegen diese destruktive Aggression. Aber diesen Sieg feiern wir erst in einigen Wochen, an Ostern.

Amen.