„Wer’s glaubt, wird selig!“ – Wenn man heute diese Redewendung hört, dann ist sie meist ironisch gemeint und bedeutet: „Das glauben doch nur naive Leute.“ Oder: „Das meinst du doch nicht wirklich. Das glaubst du doch selber nicht!“ Manche denken dabei sofort an die Redensart „glauben heißt nicht wissen“.
„Wer glaubt, wird selig!“ Und dabei stammt dieser Satz aus der Bibel und ist durchaus so gemeint, wie er dasteht. Das Original findet sich beim Evangelisten Markus (Mk 16, 16): „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden. Wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Wer glaubt, wird selig. Wer auf Gott vertraut, wird das ewige Leben erlangen.
Der Unterschied zwischen dem Satz des Evangelisten Markus und der volkstümlichen Redewendung ist das kleine „s“: Wer „es“ glaubt, heißt es in der Redewendung, die den Bibelsatz zur Karikatur macht. Glauben meint hier: Wer etwas für wahr hält. Glauben, wie es Jesus meint und auch Martin Luther so verstanden hat, bedeutet mehr als etwas für wahr halten.
Das reformatorische „Allein aus Glaube“ (sola fide), um das es heute in dieser Fastenpredigt geht, will dem Missverständnis vorbeugen, der Mensch könnte aus eigener Kraft irgendetwas tun, was Gottes Liebe und Gunst erzwingen könnte. In dieser Gefahr stehen wir immer wieder, zu meinen, wenn wir nur viel Gutes tun, muss Gott uns doch auch gut sein.
„Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn“, schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom, wie wir soeben in der Lesung gehört haben. „Viele kamen zum Glauben durch Jesus“, weiß das Evangelium von der Samariterin am Jakobsbrunnen zu berichten.
Etwas glauben, das klingt im Deutschen nach „für wahr“ oder „für möglich halten“. Es klingt nach eventuell, mutmaßlich, vielleicht, keineswegs sicher. Kann sein, kann aber auch nicht sein. Glauben wird zum Gegenteil von Wissen, zum Gegenüber des Zweifels, zum Gegenüber des Misstrauens. Unsere Sprache rückt den Glauben in die Nähe der Vermutung.
Das mit dem Glauben, das mit Gott ist im Letzten ein Geheimnis. Es kann nicht beweisen werden. Ein Geheimnis kann man nicht erklären, dann wäre es keines mehr. Ein Gott, den ich mit meinem Verstand erklären könnte, wäre mir zu klein. Gott ist für mich das Größte, was wir Menschen sagen können und darf geheimnisvoll und unerklärlich sein.
Gehen wir einmal zunächst von der Sprache aus: Das Wort glauben kommt von mittelhochdeutsch gelouben = „für lieb halten“, „gutheißen“. Diese Bedeutung steckt noch in loben = jemandem sagen, dass er etwas gut gemacht hat; oder geloben = jemandem etwas hoch und heilig versprechen.
Glaube, pistis im Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, meint Vertrauen, Treue, Überzeugung. Das hebräische Wort amán, das im Wort „Amen“ steckt, meint „sich an etwas festmachen“, sich auf jemanden verlassen. Wenn ich zu etwas ja und Amen sage, unterschreibe ich das und bestätige: „Ja, so ist es!“ Und im Lateinischen, heißt „ich glaube“ credo und kommt von „cor dare“, zu Deutsch: wenn ich glaube, schenke ich jemandem mein Herz.
„Credo“ = „Ich glaube“, das sind die ersten Worte des Glaubensbekenntnisses. „Ich glaube“. In der Kirche ist dies ein wichtiger Satz. Es ist meine Antwort auf das, was hier geschieht. Es ist mein Bekenntnis. Es ist die Bestätigung, dass ich mich dazu gehörig fühle.
„Von Herzen“ glauben, das heißt: Ein Mensch macht ganze Sache mit Gott, mit Jesus. Er ist ergriffen, berührt von Gott. Und er will in der Verbindung mit diesem Gott leben.
Jesus beginnt ein Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen und bittet sie: „Gib mir zu trinken!“ Bestimmt ist es in dieser Mittagsstunde sehr heiß. Jeder, der schon einmal in der Mittagshitze gearbeitet hat oder gewandert ist, oder in der Sauna geschwitzt hat, kann das nachfühlen. Wir wissen, wie wohltuend es da ist, einen Schluck Wasser zu trinken. Auch die Frau möchte mit Wasser ihren Durst stillen. Deshalb ist sie zum Brunnen gekommen.
Jesus scheint die Frau und ihre Probleme zu kennen. Er weiß um ihr bisher recht wechselhaftes Leben, mit dem die Frau wahrscheinlich nicht glücklich ist: „Du holst hier Wasser und Wasser, aber du wirst immer wieder durstig sein. Ich gebe dir Wasser zu trinken, danach wirst du niemals mehr durstig werden.“ Auf eine sehr einfühlsame und liebevolle Weise möchte Jesus der Frau klarmachen: Dein Durst, den du jetzt empfindest, der ist zwar wichtig. Es ist gut, wenn du ihn stillst. Diesen Durst wirst du aber immer wieder bekommen. Aber es gibt noch einen ganz anderen Durst in dir. So weckt er ihre tiefe Sehnsucht. Und er erzählt ihr von Gott.
Je länger Jesus erzählt, umso durstiger wird die Frau nach Leben, sehnt sie sich nach wahrer Liebe, nach Erfüllung. Jesus macht ihr klar: „Tief in dir steckt ein Durst nach einem Sinn und Ziel des Lebens. Ein Durst, dass dich jemand annimmt, so wie du bist, auch mit deinen Schwächen und Fehlern. Du sehnst dich nach jemanden, der nicht fragt, was du leistest oder wie viel Geld du gespart hast. Du suchst dauerhaftes, bleibendes Glück.“ Jesus kennt auch diesen Durst der Menschen sehr gut. Er sagt: „Wenn du mich und meine Botschaft annimmst, wenn du glaubst, was ich dir von Gott erzähle, dann werde ich diesen Durst in dir stillen.“
Wer in den Ländern wohnt, in dem klares Wasser nicht wie bei uns jederzeit und unbegrenzt aus der Wasserleitung kommt, spürt vielleicht noch tiefer und intensiver, wie kostbar und wertvoll das ist, was Jesus der Frau und damit auch uns sagt. Wie die Frau am Jakobsbrunnen haben auch wir diesen Durst nach Sinn im Leben, nach Liebe, nach Geborgenheit – einen Durst, anerkannt zu werden und bleibendes Glück zu finden. Dieses Wasser ist das Vertrauen auf einen liebenden, barmherzigen Gott, der für uns Menschen immer da ist. Gott, der uns über alles liebt, dem das Schicksal jedes einzelnen von uns nicht egal ist.
Das Bild vom Lebenswasser, mit dem Jesus sich offenbart, spricht die Sehnsucht nach der Fülle des Lebens aus, nach geglücktem Leben, das kein Tod vernichtet. Wenn ich Gottes Wort ernst nehme und annehme, dann kann ich das Leben bejahen, dann werde ich mich auch einsetzen für diese frohmachende Botschaft. Ich werde bereit, mein Leben, aus dem Glauben heraus zu gestalten. Dann kann auch ich, wie die Frau aus Samarien, anderen von meiner Begegnung mit diesem „lebendigen Wasser“ erzählen.
Oft geben wir uns im Leben mit dem ganz gewöhnlichen Wasser zufrieden, das nur für kurze Zeit den ersten Durst stillt. Diese Wochen der Vorbereitung auf das Osterfest wollen uns dabei helfen, wieder neu den Durst nach Gott zu entdecken. Nutzen wir doch die Angebote und Möglichkeiten, die diese österliche Bußzeit uns bietet. Hoffentlich gelingt es uns in diesen Wochen vor Ostern, durch Gebet und Zeiten der Stille, für Gott und seine Botschaft offen zu werden.
Bei seiner persönlichen Auseinandersetzung mit der existentiellen Frage „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ entdeckt Martin Luther durch all seine quälenden Fragen und Zweifel in den Worten des Römerbriefs endlich den Gott, den er gesucht hat: Den liebenden Gott. Der Abschnitt aus dem Paulusbrief liest sich wie eine einzigartige Liebeserklärung Gottes an uns Menschen. Beim sogenannten Turmerlebnis fällt es Martin Luther wie Schuppen von den Augen: „Gott hat uns einen neuen Weg zum Leben gezeigt, der nichts mehr mit dem Gesetz und mit Leistungen zu tun hat. Jetzt kommt es allein auf den Glauben an, und der ist uns geschenkt. Also steht fest: Nicht wegen meiner Anstrengungen und guten Taten, die ich Gott vorweise, werde ich von meiner Schuld freigesprochen. Gott nimmt mich erst dann an, wenn ich mein Vertrauen allein auf Jesus Christus setze.“
Nicht die Bußleistungen gegenüber der Kirche sollten die Grundlage für die tiefe Gewissheit des Heils sein. Nicht Ablässe oder buchhalterisch festgehaltene gute Werke, nicht das einwandfreie moralische Punktekonto bei Gott. Sondern allein die Beziehung zu Christus. Allein dieses tiefe Gefühl in der Seele, dass Christus bei mir ist, dass Christus mich liebt, dass Christus für mich einsteht, wo ich am Zweifeln und Verzweifeln bin.
Wir fragen heute nicht mehr, wie Martin Luther damals nach einem gnädigen Gott gefragt hat. Wir fragen eher danach, in welcher Weise uns unser Glaube helfen kann, mit den Ängsten unserer Zeit umzugehen und fertig zu werden. Überall scheint der Perfektionismus alles zu beherrschen, und wir haben Angst, in unserer Leistungsgesellschaft dem nicht zu genügen. Wir haben Angst, hinter all den ausgesprochenen Normen und unausgesprochenen Erwartungen zurückzubleiben. Wir haben Angst, Fehler zu machen. Viele haben Angst, als Verlierer und Versager abgestempelt zu werden. Menschen mit Migrationshintergrund haben Angst, ausgegrenzt zu werden und nicht dazu zu gehören. Wir haben oft Angst, unseren eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Unsere Angst wächst in Zeiten, in denen wir meinen, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann.
Aber da gibt es in unserem Glauben ein Leuchten, das uns durch die Angst in eine tiefe Freiheit führen will, weil Gott uns seinen Beistand versprochen hat. In diesem Licht erschließt sich mir Gott und kommt mir mit den Worten entgegen: Du bist mir recht, weil ich dich liebe – auch wenn deine Angst dich unsicher macht! Und dann erzählt uns Gott, wie er es mit seiner Liebe meint. Wie er uns schön findet mit unseren Ecken und Kanten, unseren Grenzen und Fehlern. Wie er uns mit seiner barmherzigen Liebe in eine ungeahnte Freiheit führt, in der wir durch seine Liebe erkennen dürfen: unser Leben hat bereits einen Sinn, weil wir leben und von seiner Liebe umfangen sind. Wir müssen nicht erst nach einem Sinn suchen.
Wenn wir das annehmen, werden wir begreifen, dass wir Gott recht werden. Jesus hat uns begreifbar gemacht, wie Gott uns annimmt. Das ist ein anderer Gott als der, den wir uns vorstellen, wenn es uns gut geht. Es ist auch ein anderer Gott als der, an dem wir verzweifeln, wenn die Dinge nicht zusammenpassen und es nicht so geht, wie es soll. Im Glauben darf ich begreifen: Gott, dem nichts wichtiger ist als mein Leben, er kommt mir immer wieder entgegen und mit seiner Liebe zuvor.
Unsere Welt braucht uns als Christen, denn sie braucht Menschen, die ihre Angst überwinden und beginnen, aus der Freiheit zu leben. Sie braucht Menschen, die Versöhnung stiften, weil sie selbst versöhnt sind und das auch spüren. Die vergeben können, weil sie selber wissen, dass sie selbst nur aus Vergebung leben können. Die barmherzig zueinander und zu sich selber sind, weil sie um Gottes Barmherzigkeit und zuvorkommende Liebe wissen.
Ein gemeinsames Christusfest wird es werden, das uns Katholiken und Evangelische in diesem denkwürdigen Reformationsjahr 2017 intensiver auf das schauen lässt, was uns – Gott sei Dank – längst miteinander verbindet, und weniger auf das, was uns leider immer noch voneinander trennt.
„Wer glaubt, wird selig“. Dass diese Verheißung aus der Bibel für uns wahr wird, dass Gott unseren Durst nach Leben wirklich stillen kann, das wünsche ich uns allen an diesem 3. Fastensonntag. Amen.
von P. Maximilian Wagner OFM