Wie wohltuend es ist, wenn wieder warme Sonnenstrahlen auf unsere Haut kommen, spüren wir ganz aktuell an diesem Sonntag, der uns schon den kommenden Frühling erahnen lässt.
„Licht in eine Sache bringen“, „etwas ins rechte Licht rücken“; „etwas in einem anderen Licht sehen“; „ein echter Lichtblick ist das“… – eine kleine Auswahl von Redensarten rund um das Thema Licht. Wir Menschen brauchen Licht zum Leben, sonst gehen wir ein „wie die Primeln“.
Die Lesung aus dem zweiten Buch der Chronik hat uns hineingenommen in eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte des Volkes Israel. Durch Propheten hat Gott immer wieder gewarnt: Wenn ihr so weiter macht, nichts ändert, euch nicht Gott und seinen Worten zuwendet, endet alles in einer Katastrophe – „wer nicht hören will, muss fühlen.“ Und so kam es dann: Jerusalem mit dem Tempel wurde zerstört und alle, die dem Schwert entgangen waren, kamen in die Verbannung nach Babel. Es war die Zeit des Babylonischen Exils, eine lange, schwere, dunkle Zeit. Aber Gott ermöglicht wieder einen Neuanfang, er bringt Licht ins Dunkel, er gibt seinem Volk eine neue Chance, schenkt ihm erneut einen Lichtblick.
Das Evangelium lässt uns Zeugen sein bei einem Gespräch zwischen Jesus und dem Pharisäer Nikodemus. Nach der Überlieferung des Evangelisten Johannes ist es Nacht, als die beiden „über Gott und die Welt“ philosophieren. Ein starkes Bild, für das, was Jesus Nikodemus und uns heute sagt. Es geht um Licht, Jesus selber wird zum Hoffnungsstrahl in den Nöten seiner Zeit.
Vom berühmten brasilianischen Erzbischof Dom Hélder Câmara, dem die 3. Fastenpredigt über „Leuchttürme des Glaubens in unserer Zeit“ gewidmet ist, erzählt man sich bis heute denkwürdige Geschichten. Er gehörte zu den mutigsten und bedeutendsten Menschenrechtlern des 20. Jahrhunderts und war einer der wichtigsten Vertreter der Befreiungstheologie. Er gründete Basisgemeinden in den Armenvierteln von Rio de Janeiro, um dort aktiv gegen Armut, Kriminalität und Analphabetentum vorzugehen. Und so wurde er für viele Menschen zum Lichtblick im Dunkel seiner Zeit, zu einem Leuchtturm des Glaubens.
„Sag ja zu den Überraschungen, die deine Pläne durchkreuzen, deine Träume zunichtemachen, deinem Tag eine ganz andere Richtung geben – ja vielleicht deinem Leben. Sie sind nicht Zufall. Lass dem himmlischen Vater die Freiheit, deine Tage zu bestimmen.“
Dieser programmatische Satz überschreibt das Leben von Dom Hélder, der im Vertrauen auf Gottes Hilfe in seinem Land mutige Schritte der Veränderung gewagt hat.
In einer seiner Predigten hat er seine Gemeinde aufgefordert, sich mit dem Ohr auf den Erdboden zu legen, zu lauschen und zu versuchen, die Geräusche wahrzunehmen, die Menschen auf der Straße machen. Vorherrschend werden hastige, rastlose Schritte sein; daneben ängstliche Schritte und verbitterte und aufbegehrende. Das ist es, was wir wahrnehmen. So ist es, wie wir leben, folgert er daraus.
Selten, so sagt er, wird ein erster, zarter Schritt der Hoffnung wahrgenommen beim ersten Horchen. Darum fordert er seine Hörer auf, noch einmal das Ohr auf den Erdboden zu legen und den Atem anzuhalten, um über den Lauten der Geschäftigkeit des Lebens in der Welt zu hören, dass Gott kommt.
Wird es je einen passenden Moment geben? Wird die Welt, werden die Menschen Zeit haben für Gott, wenn er kommt? Dennoch, er kommt, und wenn wir ganz genau hinhörten, könnten wir ihn wahrnehmen, schon jetzt und auch in unserem Leben.
Das sind Worte, die ein Bild der Lebenserfahrung und des Alltags von Dom Hélder Câmara beschreiben: am Tage den ängstlichen, verbitterten und manchmal auch aufgebrachten Menschen zugewandt und um sie besorgt; doch in der Stille der Nacht auf der Suche nach dem Schritt, nach der Stimme, die der Lärm des Tages und der Stress in unserer Gesellschaft zu erdrücken drohen.
Am 7. Februar 1909 wurde Hélder Câmara in Fortaleza geboren. Als elfter von 13 Söhnen, von denen fünf während einer Grippe-Epidemie starben, wollte er schon früh dem sozial engagierten Orden der Lazaristen beitreten. Seine ersten Prägungen und den ersten Schulunter-richt erhält er von seiner Mutter. Sie brachte ihm nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen bei, sondern lehrte ihn auch ein tiefes Gespür für Gerechtigkeit und Achtung vor allen Menschen.
In jungen Jahren beschloss er, Priester zu werden, 22-jährig wurde er zum Priester geweiht. Unvergesslich blieb dem begabten Neupriester die Lektion, die ihm einer seiner Lehrer nach seinem Primiz-Gottesdienst im August 1931 erteilte. Soeben hatte er seine Predigt beendet, fein gedrechselt und gespickt mit gelehrten Worten und seltenen Fachausdrücken. Er hatte in der Predigt durch tolle Formulierungen glänzen wollen. Aber nach dem Gottesdienst nahm ihn Pater Breno, einer seiner Lehrer, beiseite und sagte ihm: „Sei kein Dummkopf. Du sprichst zu einfachen Leuten. Du musst natürlich reden!“ Diese Lektion saß. Seit diesem Tag war sein Wirken als Priester den einfachen Leuten, den Bescheidenen und Unglücklichen gewidmet.
Hochbegabt, ein geborener Organisator, mutig und unermüdlich wie er war, betraute ihn sein Bischof mit dem Aufbau katholischer Organisationen. Er war in leitender Stellung im brasilia-nischen Bildungsministerium tätig, unterrichtete Pädagogik und machte als ihr Präses aus der Katholischen Aktion ein wirksames Werkzeug der bis dahin zersplitterten katholischen Kräfte.
Er förderte die sozialen Wochen, auf denen Laien, Ordensleute, Priester und Bischöfe über die Probleme des Landes und die Aufgaben der Kirche debattierten. 1952 gelang es ihm, den alten Plan zu verwirklichen, die Kirche in Brasilien unter ein Dach zu stellen. Die römische Kurie genehmigte die Gründung der brasilianischen Bischofskonferenz. Hélder Câmara, am 20. April 1952 zum Weihbischof von Rio de Janeiro geweiht, wurde ihr erster Generalsekretär und war als solcher beauftragt, den 36. internationalen Eucharistischen Kongress 1955 in Rio de Janeiro zu organisieren.
Der für Dom Hélder wichtigste Moment beim Eucharistischen Kongress war eine Frage, die Kardinal Pierre-Marie Gerlier von Lyon ihm stellte: „Wie kann es angehen, dass wir alle den Eucharistischen Christus in unserer Mitte verehren und den Christus übersehen, der buchstäblich am Rande lebt, in den Armen in den Favelas von Rio de Janeiro?“ Diese Frage, so bezeugt Dom Hélder, veränderte sein Leben. Fortan stellte er seine immense Arbeitskraft, sein Organisations-talent und sein Charisma in den Dienst der Armen.
Seit seiner Zeit im Priesterseminar war er es gewohnt, frühmorgens um 2 Uhr aufzustehen und eine Stunde lang in die Stille der Nacht und in sich hineinzuhören. Oft hielt er seine Gedanken, die dem Leben abgelauscht sind, in kleinen Meditationen fest. In einer schreibt er fasziniert von der Kunst eines Instrumenten-Stimmers:
„Ich bewundere, ja ich beneide nicht nur dein feines Ohr, das jeden Ton heraushört und in jedem Ton die kleinste Unstimmigkeit, das geringste Intervall wahrnimmt. (…) Ich bewundere, ja ich beneide das sanfte Geschick, mit dem du die verstimmten Töne höher stellst, bis sie wieder im Einklang sind“.
Der dies schreibt, hat gelernt, in seiner Umgebung die Misstöne und die Ungerechtigkeiten im Zusammenleben der Menschen in seinem Land wahrzunehmen, die Dissonanzen und die Spannungen zwischen Arm und Reich, die unsauberen und die falschen Töne der Mächtigen und Einflussreichen. Mit Vehemenz hat er auf sie aufmerksam gemacht und wurde bis ins hohe Alter nicht müde, gegen himmelschreiendes Unrecht vorzugehen, es anzuprangern und zu beseitigen.
Dom Hélder Câmara, ein kleines, schmächtiges Männchen, das gerade einmal 1,50 Meter groß war, mit seinem haselnussbraunen, von vielen Falten durchzogenen Gesicht und seinem sanften Lächeln war einer der großen Hoffnungsträger der Armen und Unterdrückten.
Am 12. März 1964 wurde er zum Erzbischof von Olinda und Recife ernannt, kehrte also in seinen geliebten Nordosten zurück. Der Militärputsch vom 31. März 1964, der Brasilien in eine bis 1985 dauernde Diktatur stürzte, überschattete seinen Amtsantritt.
Als neuer Erzbischof zog er nicht in das bischöfliche Palais ein, sondern in eine kleine Wohnung in einem bescheidenen Sakristei-Anbau einer Innenstadtkirche. Die Tür war immer offen. Eintreten durfte jeder. In der Stadt ging der kleine Mann in Priesterkleidung mit der großen Aktentasche zu Fuß, da der einfache Mann auch kein Auto besaß.
Kirche beim Volk, Kirche mit den Armen war sein Motto. Er wollte nicht mehr eine Kirche verkörpern, die aus einer privilegierten Position heraus in einer Art Fürsorgepflicht für die Armen und das einfache Volk da war. Nein, er wollte sich mit dem verarmten Volk identifizieren. Deswegen wollte er auch von den Lebensverhältnissen ganz nahe bei den Kleinen wohnen und an deren Seite mit ihnen für ihre berechtigten Anliegen kämpfen.
Mit einer ungeheuren Zärtlichkeit nimmt er ihre Sorgen wahr und nimmt am Leben des armen Volkes Anteil. Wieder ein Gedicht aus den nächtlichen Meditationen zeigt dies:
„Wenn Arbeit den kleinen Leuten das Hemd durchnässt, schau um dich und du wirst sehen, dass Engel die Schweißtropfen einsammeln, als wären es Diamanten.“
Gespeist wird diese Liebe zu den Armen aus einer einfachen Theologie. Irgendwo steht Dom Hélder Câmara vor einer Krippe, künstlerisch gerade nicht überwältigend. Da kommen dem schmächtigen Mann die Tränen. Er greift nach dem hölzernen Bischofskreuz auf seiner Brust und schluchzt: „Mein Jesus, mein Jesus … Eine Welt, in der sich atmen lässt, eine gerechtere, eine menschlichere, eine göttlichere Welt!“
Das Gesicht, die Gesten, die Hinwendung zu den armen Leuten konnten so zärtlich sein, seine Stimme gegenüber den Mächtigen und Reichen aber so zornig werden. Er wettert: „Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Aber wenn ich frage, warum die Armen nichts zu essen haben, nennen sie mich einen Kommunisten. Das menschliche Elend ist eine Beleidigung Gottes, es würdigt die Menschen zu Tieren herab.“
Was ihm hierzulande in Europa Bewunderung einbrachte, trug ihm in der Heimat von Seiten der Diktatur und vieler Reicher Hass und Feindschaft ein. Denn ihnen redete er ins Gewissen und lebte ihnen das provozierende Beispiel eines einfachen Lebens vor. Als ihnen die Mahnungen des Propheten lästig wurden, rieten sie ihm „zu seinem Besten“, er möge doch bei seinen Leisten bleiben, und meinten damit, er solle sich auf die „reine“ Seelsorge beschränken.
Morddrohungen folgten. Da Dom Hélder durch seine Prominenz geschützt war, gerieten seine Mitarbeiter ins Visier. Wenn das Militärregime letztlich davor zurückschreckte, ihn umzubringen, so taten sie doch alles, ihn kaltzustellen.
Ein Leben lang hat dieser zähe Dom Hélder Câmara aus der Überzeugung heraus, dass ihm Jesus vor allem als armer Bauchwarenhändler, als Zuckerrohrarbeiter, als Fischerin, als alleinstehende Mutter und als Favela-Bewohner begegnet, sich für die Anliegen der Armen in Brasilien eingesetzt.
Eine seiner schönsten Predigten ist eine Betrachtung über ein Jugendlied: „Es bleibt immer ein wenig Duft in Händen, die Rosen schenken, in Händen, die sich großzügig zeigen. Ein bisschen geben von dem, was man hat, dem, der noch weniger besitzt, bereichert den Geber, macht seine Seele noch schöner. Freude zu geben ist ein so einfaches Ding, das in den Augen Gottes jedoch die schönste aller Künste ist. (…) Am grauen, bleiernen Himmel, der den Bruder oder die Schwester niederdrückt, einen blauen, lichten Streifen eröffnen, ist wirklich die schönste aller Künste.“
Dom Hélder Câmara starb am 27. August 1999 in Recife im hohen Alter von 90 Jahren. Bis heute strahlt sein Lebenswerk weiter in den Herzen der Menschen, für die er sich zeitlebens so engagiert eingesetzt hat. Ein Lichtblick war er den Armen seiner Zeit und bleibt als ihr treuester Fürsprecher und größter Verteidiger für unsere Kirche des 21. Jahrhunderts ein echter Leuchtturm des Glaubens, weil er Licht ins Dunkel seiner Zeit brachte, und den Armen half, ihre Not in einem anderen Licht zu sehen: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit„. Dieses Motto hat sein Leben bestimmt und die Welt um ihn herum zum Leuchten gebracht. Amen.
Text der Predigt zum Herunterladen