Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Da keine Gottesdienste an diesem Wochenende in St. Ludwig und Albertus Magnus stattfinden können, stelle ich Ihnen meine Predigt gerne online zum Hören und Lesen zur Verfügung. In der Fastenpredigt geht es um das „Wort“ – siehe Gottesloblied 436/2.
Das Evangelium vom 3. Fastensonntag finden Sie zum Nachlesen auf der >>Internetseite der Erzabtei Beuron.
Mit Grüßen aus St. Ludwig
Ihr Br. Severin
3. Sonntag der Fastenzeit – Joh 4, 5-42
zum Hören:
zum Lesen:
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
stellt man die vier biblischen Evangelien nebeneinander, fällt auf, dass Matthäus, Markus und Lukas große Gemeinsamkeiten aufzeigen – sowohl in der Wortwahl als auch in der Abfolge der Ereignisse rund um Jesus. Weil die drei Evangelisten in ihrer Konzeption so nahe beieinander liegen, werden sie auch Synoptiker genannt, denn man kann sie gut nebeneinander stellen und vergleichen. Das Johannesevangelium jedoch fällt dabei aus dem Rahmen. Natürlich erzählt auch Johannes vom Wirken Jesu, aber anders als die drei Synoptiker. Denn bevor Jesus selbst zum ersten Mal öffentlich auftritt, eröffnet uns der Evangelist Johannes seine Frohe Botschaft mit dem Prolog, der vielen vertraut ist. Hier nochmal zur Erinnerung: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.
Mit diesem berühmten Texteinstieg schlägt Johannes einen philosophischen Denkweg ein und ermöglicht uns so einen ganz anderen Zugang zu den Anfängen Jesu. Da sind doch die Geburtsgeschichten Jesu aus dem Matthäus- und Lukasevangelium realitätsnäher und leichter zu verstehen als diese philosophische Denkkonstruktion. Oder etwa nicht?
Doch wie kann uns dieser programmatische Einstieg des Johannesprologs „Im Anfang war das Wort“ helfen, das heutige Evangelium zu deuten? Damit das „Wort, das Fleisch geworden ist“, nicht zu einer „leeren“ Worthülse wird, sondern es in Jesus als lebendige Kraftquelle die Welt verändert und wir immer mehr Zeichen und Wunder seines Reiches Gottes unter uns erleben dürfen.
Der 3. Fastensonntag steht unter dem Leitgedanken des „Wortes“ aus unserem Fastenlied. Da heißt es zu Beginn der heutigen Strophe: „Ach bleib mit deinem Worte bei uns“.
Im heutigen Evangelium macht sich also Jesus „als das menschgewordene Wort“ von Jerusalem auf zurück nach Galiläa. Der schnellste Weg zurück aber führt über das Gebiet von Samarien. Das hat zur Folge, dass Jesus und seine Jünger durch ein Gebiet müssen, mit dem sich das Judentum der damaligen Zeit schwergetan hat. Denn für viele waren die Samariter „Irrgläubige“, die man lieber eher mied, als den Kontakt zu ihnen zu suchen. So entstanden zwei Heiligtümer in Palästina, an denen JHWH verehrt wurde: für die Juden in Jerusalem und für die Samariter in Garazim, im Gebiet von Samarien. Zwischen den Juden und den Samaritern entstand so eine unsichtbare Mauer, die beide voneinander trennte. Diese innere geistige Mauer wird auch in den Worten der Frau im heutigen Evangelium sichtbar, denn sie sagt zu Jesus: Wie kannst du als Jude mich um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, Mauern dienen auf der einen Seite zum Schutz und zur Sicherheit für das vermeintlich eigene Wohlergehen, auf der anderen Seite aber auch zur Abgrenzung und Abschottung vor ungebetenem Besuch. Wer, wenn nicht die Berliner, könnte die Situation am besten beschreiben, was es bedeutet, hinter einer Mauer gelebt zu haben? Ich selber, der 1989 geboren wurde, kann von diesen Erfahrungen nicht sprechen, sondern bin in der glücklichen Lage, vom Fall der Mauer zu profitieren und von Anfang an eine ungeteilte Stadt zu erleben. Für den Großteil der deutschen Bevölkerung war die Mauer eine unzumutbare Situation. Und heute dient die Mauer als Kulisse für Ansichtsbilder – siehe Warschauer Straße, wer hätte das gedacht? Doch besser so als anders …
Doch zurück zum Evangelium. Jesus steht zwar nicht unmittelbar vor einer sichtbaren Mauer, wie wir es bei der deutsch-deutschen Teilung hatten, aber er lebt unter Menschen, die seit vielen Jahrhunderten gedanklich diese Mauer zwischen Juden und Samaritern errichtet haben. Und in dieses „fremde“ Gebiet – aus jüdischer Sicht – begibt sich Jesus. Er durchbricht diese innere Gedankenmauer und setzt somit ein Zeichen für einen neuen Anfang, der im Auf-einander-zu-gehen bestehen soll.
Mit diesem persönlichen Mauerdurchbruch gelingt es Jesus, einen Grundstein zu legen und einen Weg zu pflastern, der zur Begegnungsstelle zwischen der Frau und ihm an den Jakobsbrunnen führt. Aus dieser vorgeblich unüberwindbaren Mauer ebnet Jesus einen neuen Pfad und ermöglicht allen anderen, sich auf diesen Weg einzulassen und seiner Spur zu folgen. Dadurch kann jetzt ein wahres Gespräch zwischen beiden zustande kommen. Das wird im heutigen Evangelium deutlich: Beide lassen sich aufeinander ein, hören einander an, stellen sich Fragen, nehmen sich gegenseitig ernst. Jesus fordert sie sogar gezielt auf: Gib mir zu trinken! Er spricht sie konkret an! Als wollte er ihr sagen: So tief wie das Wasser im Brunnen steht, so tief musst du in dich gehen, um zum lebendigen Wasser zu gelangen.
Es ist eine Stelle tief in unserem Inneren, die uns den Zugang zur Begegnung mit Gott ermöglicht. Sie kann mir helfen, aufgerichtete Mauern in mir Stein für Stein abzutragen, um eine neue Sicht auf Dinge, auf Menschen, auf Länder, auf Vorurteile, auf mich selbst zu erhalten. Und dadurch die Welt mit Gottes Augen sehen zu lernen. Wie das gelingen kann, wird uns Tag für Tag im Wort Gottes ans Herz gelegt, denn für uns darf es das „Wort des lebendigen Gottes“ sein.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, natürlich kann sich auch das sehr idealisiert anhören, aber nicht umsonst bewahrheitet sich oftmals das Sprichwort: Ein steter Tropfen höhlt den Stein! Wenn sich Jesus im heutigen Evangelium selbst als „lebendiges Wasser“ bezeichnet und wir seinem Wort trauen dürfen, dann glaube ich schon, dass er in der Lage ist, unsere persönlichen – oftmals – festgefahrenen Denkmauern zu durchbrechen. Um das zu schaffen, dürfen wir auf die Worte des Apostels Paulus aus der zweiten Lesung vertrauen. Er sagt uns heute: Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist! Es ist eine frohmachende Botschaft, die sich so kraftvoll auch in uns entfalten kann und sich entfalten möchte. Ist nicht die Liebe das Medium, das Mauern zum Einreißen bringt? Ist die Liebe nicht das Medium, das die Einheit sucht? Die Frau am Jakobsbrunnen hat ihre innere Mauer durchbrochen, um zum lebendigen Wasser vorzudringen. Leben auch wir immer mehr aus dieser sprudelnden Quelle, die uns zu Menschen der Einheit macht. Den Anfang macht ein Wort. Amen.