Im Kontext der Eucharistiefeier entfalten die Ideen und Gedanken Romano Guardinis bis heute ihren Sinn. Der Religionsphilosoph und Theologe, der bis zur Abschaffung seines Lehrstuhls durch die Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren in der Berliner Benedikt-Kapelle regelmäßig Predigten und geistliche Vorträge hielt, dachte auf die Heilige Messe hin und von ihr aus. Deshalb veranstaltet die Guardini Stiftung im Geiste ihres Namensgebers seit 2005 theologische Predigtreihen, in deren Rahmen namhafte Theologen und Geistliche zu verschiedenen Themen und Forschungsschwerpunkten predigen.
Aufgrund der Coronapandemie kann es Gabriel von Wendt leider nicht einrichten, nach Berlin zu reisen. Statt der üblichen Eucharistiefeier wird zum betreffenden Termin in St. Ludwig ein Wortgottesdienst stattfinden, in dessem Rahmen die Predigt „Hat die Kirche Macht?“ verlesen wird.
Die >> Anmeldung zum Wortgottesdienst ist zwingend erforderlich.
Joh. 20,19–23
Predigt: Gabriel von Wendt LC
Mezzosopran: Anna-Luise Oppelt
Orgel: Jacobus Gladziwa
zum Hören:
zum Lesen:
Die Macht bei Guardini
Einer der meist beachteten Beiträge Romano Guardinis zum intellektuellen Dialog seiner Zeit sind seine Gedanken über die Macht. „Macht ist Fähigkeit, Realität zu bewegen“, schreibt Guardini 1952. Ganz allgemein ist Macht also eine Kraft, die etwas bewirken kann; eine Tat-kraft. Zur Macht gehört aber nicht nur Kraft, sondern auch ein Wille, eine Absicht. „Ein Wille, der Ziele setzt“, so schreibt Guardini, „ein Vermögen, welches die Kräfte auf [bewusste] Ziele hin in Bewegung bringt“ (Die Macht, 102). Im Alltag assoziieren wir Macht meist mit Personen, die durch Einfluss, Geld oder hohe Ämter mächtig sind. Befragen wir die Literatur, so stellen wir fest, dass alte Mythen und moderne Fiktion Macht durch Personen repräsentieren, die elementare oder gar zerstörerische Kräfte beherrschen können. Denken wir an den Göttervater Zeus: Er ist zweifelsohne eine Personifizierung der Macht, jemand, der die Blitze des Himmels in der Faust hält wie ein Krieger seine Waffe. Macht bedeutet die Fähigkeit, Realität zu bewegen; und je größer die bewegte Realität, desto größer die Macht.
All dies zeigt, dass Macht schnell problematisch wird; insbesondere dann, wenn viel Macht in die Hände weniger Personen fällt. Mit der Fähigkeit, Großes zu bewegen, wächst die Möglichkeit, viel zu zerstören. Die Möglichkeit der Macht deckt sich mit dem Risiko der Freiheit; und zwar an einem bestimmten Punkt: im Menschen. Der Mensch ist frei, der Mensch ist in der Lage, Realität willentlich zu bewegen, der Mensch ist mächtig.
Guardini unterstreicht: Es gehört zum Wesen des Menschen, dass er Macht hat. „Der Mensch wird vom Geist her bestimmt“, schreibt er, „der Geist […] lebt und handelt [aber] nicht aus Notwendigkeit, […] sondern […] er ist frei“ (Die Macht, 176). Macht ist zunächst einmal nichts Schlechtes, sondern einfach eine Folge der Freiheit; also der menschlichen Fähigkeit, Realität zu bewegen, zu gestalten, zu formen und zu verwalten. Macht ist die Urzutat des menschlichen Tuns, und damit die Voraussetzung für Kultur; ja, die Macht des Menschen stammt letztlich von einem Auftrag Gottes (vgl. Die Macht, 169). Wesen und Auftrag des Menschen verleihen ihm eine gewisse Macht über die Natur, Macht über die Gestaltung der Gesellschaft (und somit über seine Mitmenschen), und insbesondere Macht über das eigene Leben.
Entscheidend ist für Guardini nun, „die Macht [nicht] im Sinne beliebiger Verfügung“ (Die Macht, 178) zu begreifen, sondern als Verantwortung. Verantwortung heißt, dass man ‚Rede und Antwort stehen muss‘, also, dass man nicht willkürlich, sondern gemäß den Gesetzen des Seins handelt: gemäß der Wahrheit, gemäß der Gerechtigkeit. In Guardinis Worten: „Freiheit besteht nicht darin, das persönlich oder politisch Beliebige, sondern das vom Wesen des Seienden her Geforderte zu tun“. So fordert Guardini am Ende seines Traktates über die Macht, dass „der Mensch das volle Maß seiner Verantwortung erkennen und auf sich nehmen [muss]“ (Die Macht, 178).
Die Geschichte des Menschen ist daher immer auch eine Geschichte der Macht. So manche Geschichte verdankt ihre Spannung ja gerade dieser Kombination aus Macht und Verantwortung, aus Freiheit und Risiko. Sei es Homers Ilias oder das Nibelungenlied, Macbeth oder Les Miserables, Der König der Löwen oder Game of Thrones: Des Menschen Macht und ihr Risiko, die Macht als Versuchung und die Macht als Verantwortung, durchzieht das ‚Storytelling‘ der Menschheit.
Und dies stimmt nicht nur für fiktive Geschichten der Menschen, sondern trifft an erster Stelle auf die tatsächliche Geschichte der Menschheit selbst zu. Versetzen wir uns in die Urszene der Menschheit im Garten Eden, so bemerken wir: Mitten in diesem Urereignis der Ursünde ist die Urzutat der Macht die Freiheit, das Risiko, die Verantwortung. Die Geschichte der Menschheit ist immer eine Geschichte der Macht. Dazu schreibt Guardini: „Schaut man in die Motive, aus denen das Handeln der Menschen entspringt, und in das Spiel der Kräfte, welche die geschichtlichen Entscheidungen bestimmen, so sieht man überall einen Grundwillen am Werk: den nach Herrschaft [sprich: nach Macht]. Größe und Tragik, Freude und Leid des Menschen wurzeln zutiefst hier. Herrschen zu können, ist Wesensbestimmung des Menschen von der Schöpfung her. Herrschen zu dürfen, ist göttliche Gewährung. Herrschen zu sollen, ist Auftrag. Es weiterhin zu müssen, nachdem der Fall geschehen, ist Verhängnis und beständige schwere Erprobung.“ (Die Macht, 146)
Pfingsten
Heute, am Pfingstfest, geht es um eine Geschichte besonderer Art: Es geht um die Kirche und ihre Macht. Ja, auch in der Geschichte der Kirche spielt Macht eine Rolle. Aber lange bevor die Kirche weltliche Macht besaß, lange bevor sie institutionalisiert genug war, um über die Rollenverteilung innerhalb ihres Machtapparates zu streiten, „waren“, wie wir in der Lesung aus der Apostelgeschichte hörten, „alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apg 2,1-4). – Und so fiel unvorstellbare Macht in einfache Fischerhände!
An dieser Stelle müssen wir betonen, dass der allgemeine Begriff der Macht als „Fähigkeit, Realität zu bewegen“ sich natürlich weiter aufgliedert in verschiedene Formen der Macht: Je nachdem, welche Realität bewegt wird, sprechen wir entweder von politischer Macht oder von kultureller, professioneller, individueller Macht. Der Blick auf das Pfingstereignis fügt dieser Palette eine ganz andere Art der Macht hinzu: die göttliche Macht.
Was war geschehen am Pfingsttag in Jerusalem? Wie so häufig schildert die Heilige Schrift in geradezu minimalistischer Manier ein äußerst sonderbares Ereignis, nämlich die Herabkunft des Heiligen Geistes, und somit die Beseelung der kirchlichen Gemeinde nachdem Christus in den Himmel aufgefahren ist. Nehmen wir den Bericht wörtlich, so müssen wir uns vorstellen, wie da eben eine ungeheure Macht entfesselt wurde; eine geistliche Macht, die sich irgendwie materialisierte: als ein Sturm im Haus, als ein Brausen in den Ohren, als ein sichtbares Feuer … Die Beschreibung ähnelt Filmszenen, in denen versucht wird, magische oder kosmische Gewalten zu verkörpern, Macht eben. Was geschah also am Pfingsttag? Eine ungeheure geistliche Macht stürzte auf die Versammelten herab; der Geist Gottes sank sichtbar auf sie nieder, ja, drang in sie ein und packte sie.
Was aber ist diese geistliche Macht? Das werden die Versammelten sich wohl auch gefragt haben. Es ist anzunehmen, dass sie, die sie ja so vertraut mit Jesus waren, ihn in seinem Geist instinktiv wiedererkannten. Aber selbst wenn dem so war, selbst wenn sie keine Angst vor dieser Macht als solcher hatten – die Tatsache, dass sich diese Gewalt auf sie legte, dass sich diese Macht gewissermaßen in ihre einfachen, von Fischerei und anderem Handwerk gezeichneten Hände legte, die Tatsache, dass sie die Gewalt nicht nur überkam, sondern sich langfristig ihnen anvertraute: All das muss die Urgemeinde mit ungeheurem Schauer erfüllt haben.
Dass göttliche Macht in schwache, menschliche, ja sündhafte Hände gelegt wurde, dass sterbliche Menschen seitdem göttliche Macht halten wie Zeus die Gewalten von Blitz und Donner: Das ist die Überraschung des Pfingstereignisses, die wir nicht übersehen sollten. Und im Lichte dessen, was wir mit Guardini über die Macht sagten – also, dass große Macht in den Händen von Menschen großes Risiko bedeutet und daher eine enorme Verantwortung –, in diesem Licht muss der Schauer, den die Urgemeinde da spürte, auch uns heute noch ergreifen.
Die Worte aus dem heutigen Evangelium, Johannes 20, betonen diese Überraschung noch. Da sagt Jesus nämlich zu den Jüngern: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten“ (Joh 20,21-23). In dieser Bevollmächtigung zeigt sich eine atemberaubende Facette der göttlichen Macht, die der Heilige Geist in die Kirche gießt: die Macht, im Namen Christi Sünden zu vergeben.
Sünden vergeben: Das kann kein Mensch für sich beanspruchen, das ist eine Macht Gottes (vgl. Lk 5,21). Die Vergebung der Sünden ist eine große, eine exklusiv göttliche Macht. Eine wahre Himmelsgewalt gegenüber der selbst die Kräfte des Sturms und Donners und die Blitze des Zeus verblassen. Und diese Macht, die Macht, im Namen Jesu Christi zu beten und zu sprechen und handeln, legt sich zu Pfingsten in Fischerhände. Und damit beginnen der Weg und der Auftrag der pilgernden Kirche, unserer Kirche.
Es muss uns sogleich klarwerden, dass die Jünger diese Bevollmächtigung keineswegs auf die leichte Schulter genommen haben können. Gleich uns werden sie von dem Dilemma gewusst haben, dass große Macht auch großes Risiko bedeutet. Sie kannten Machtmissbrauch ja ebenso wie wir – im politischen, im religiösen und im privaten Kontext. Und daher gehörte zum Leben der Kirche vom ersten Tag an die Herausforderung, diese lodernde Macht des Heiligen Geistes in konkrete Formen zu übertragen, mittels derer sie verantwortungsvoll ausgeübt werden könne; Formen, die Missbrauch vermeiden würden, Formen, die die wehende Kraft des Geistes ins alltägliche Leben eingliedern könnten, ohne sie zu ersticken. Je größer die Macht, desto größer die Verantwortung, und desto wichtiger die Erkenntnis, mit der empfangenen Macht nicht beliebig zu verfahren. Und so beginnt die Institutionalisierung der Kirche. Es entstehen Strukturen, Riten, Regeln, Dienste, Ämter und Gewohnheiten. Nicht einfach nur als eine kulturelle Verkrustung, sondern als Antworten auf das Pfingstereignis. Antworten, um die Ausübung der empfangenen Macht zu verantworten.
Die Kirche heute
In einer Zeit, in der wir uns auf den Synodalen Weg gemacht haben, um uns unter anderem gemeinsam über die Struktur und die Machtverteilung in der Kirche Gedanken zu machen, erscheint es sinnvoll, dieses Pfingstmoment genauer zu betrachten.
Auf den ersten Blick wird klar, dass die Urgemeinde an sich völlig überfordert gewesen sein muss mit dem Empfang einer so maßlosen Macht. Kein Mensch ist schließlich in der Lage, göttliche Macht auszuüben, geschweige denn auf verantwortliche Art und Weise. Wie dann auf dieses Vertrauen des Heiligen Geistes antworten? Wie diesen Auftrag verantworten? Wir könnten diese Überforderung nun einfach damit abtun, dass der Heilige Geist ihnen eben alles Nötige eingab; zweifellos! Doch wissen wir auch, dass der Heilige Geist uns nie einfach fernsteuert, sondern unser Mittun fordert. Lesen wir die Apostelgeschichte, so sehen wir, dass der Heilige Geist die Apostel keineswegs fernsteuerte, sondern dass diese mit dem an Überforderung grenzenden Vertrauen, das Gott in sie legte, umgehen lernen mussten. Die vielen Gleichnisse, die Jesus ihnen einst erzählt hatte – vom guten Verwalter des verreisten Königs oder vom fleißigen Nutzen der erhaltenen Talente –, müssen ihnen ständig vor Augen gestanden haben. Die große Verantwortung muss ihnen vor Augen gestanden haben. Und so tat die junge Kirche ihre ersten Schritte und legte die Grundsteine für jene Struktur und jene geistliche Machtausübung, die uns heute noch kennzeichnen.
Das taten die Apostel natürlich in erster Linie, indem sie sich darauf besannen, was Jesus alles zu ihnen gesagt und was er ihnen vorgelebt hatte. Johannes übermittelt uns folgende Bemerkung aus Jesu‘ Abschiedsrede: „Das habe ich zu euch gesagt, während ich bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,25f). Nun, da Jesus in den Himmel aufgefahren und der Heilige Geist gesandt worden war, werden die Jünger angesichts der an sie gestellten großen Aufgabe tatsächlich phrenetisch versucht haben, sich an Jesu‘ Worte zu erinnern. Sie wollten in der Ausübung der verliehenen Macht gewiss nichts falsch machen. So wie der junge Chirurg, der bei seiner ersten OP die ihm verliehene Macht über ein Menschenleben verantwortungsbewusst ausüben will, so wie er deshalb nicht experimentieren oder improvisieren wird, sondern sich gewissenhaft an die Anweisungen seiner Lehrer erinnert, so hat die junge Kirche die empfangene Macht nicht einfach nach eigenem Gutdünken organisiert. Vielmehr hat sie sich auf die Lehre, die Worten und Taten – ja, auf den Auftrag Jesu besonnen.
Dies muss auch heute noch unsere Haltung sein. Wir müssen uns auf die Lehre Christi besinnen, wir müssen die Geister unterscheiden, um verantwortungsbewusst mit der geistlichen Macht umzugehen, die uns anvertraut ist. Die geistliche Macht der Kirche verantwortungsbewusst ausüben bedeutet, sich an die Worte und Lehre Christi zu halten. Der Heilige Geist ist der Geist Christi.
Was wir sicher aus Geschichte und Erfahrung lernen können, ist, dass große Macht auch große Risiken mit sich bringt. Dessen sind wir uns nur allzu bewusst im Fall von politischer Macht. Im Laufe der Jahrhunderte haben wir Mechanismen und Systeme entwickelt, um politische Macht zu bändigen und eine verantwortliche politische Machtausübung zu begünstigen. Da, wo Kirche politische Formen hat, können wir uns dieser Mechanismen bedienen.
Wenn wir heute von der Macht der Kirche sprechen, dürfen wir aber nicht vergessen, dass es um mehr geht als um die politische Macht einer Gesellschaft, einer Gemeinde oder eines Vereins. Noch einmal: Da, wo Kirche politisch, kulturell oder pädagogisch ist, können Mechanismen helfen, die dazu da sind, politische, kulturelle oder erzieherische Macht zu bändigen. Heute, am Pfingstfest, werden wir jedoch daran erinnert, dass im Kern der Kirche, in ihrem Herzen, eine Macht pulsiert, die weder politisch noch kulturell noch sonst irgendwie menschlich ist. Das Herz der Kirche ist die geistliche Macht Gottes.
Die Kirche hat von Anfang an auch diese besondere Form der geistlichen Macht handfest kanalisieren und vor Missbrauch schützen müssen. Das ist ihre besondere Verantwortung: Sie muss nicht nur die politische Macht regeln, die ihr gemeinschaftlicher Charakter mit sich bringt, sondern auch jene Bevollmächtigung verantworten, die Christus ihr „zugehaucht“ hat. Und sie tat dies vom Pfingsttag an, als göttliche Macht in schwache Fischerhände fiel. Die Kirche muss die Ausübung ihrer geistlichen Macht unbedingt und immer an den Worten und der Lehre Christi ausrichten. Andernfalls läuft sie Gefahr, ihre große Macht zu missbrauchen. Wollen wir als Kirche die geistlichen Machtverhältnisse regeln, so müssen wir also mit derselben Vorsicht und Besonnenheit handeln wie die Urgemeinde; statt nach kulturellen oder politischen Leitmotiven, müssen wir nach den Worten und Taten Christi suchen. Denn der Heilige Geist, der die Kirche beseelt und ihr ihre geistliche Macht verleiht, ist der Geist Christi, von dem er gesagt hat: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14, 26).
Von diesem Gesichtspunkt aus können wir viele geschichtliche Vorgänge in der Kirche verstehen, die aus rein politischer oder kultureller Hinsicht wenig Sinn machen. So sind die Sakramente zum Beispiel nicht einfach kulturell überlieferte Riten, sondern jene sichtbaren Zeichen, durch die die besprochene göttliche Macht fließt – beispielsweise die im Evangelium erwähnte Macht, Sünden zu vergeben, die sich im Sakrament der Versöhnung verkörpert. „Das Sakrament ist dazu bestimmt, vom lebendigen Menschen aufgenommen zu werden, ihn zu nähren und als Macht in ihm zu wirken“, schreibt Guardini (Besinnung vor der Feier der heiligen Messe, 27).
Die erste Generation der Kirche hat im Zuge des Pfingstereignisses gewiss besonnen und vorsichtig versucht, die anvertraute Macht im Sinne des Stifters, im Sinne Christi auszuüben. Dass die Kirche seit damals besonders vorsichtig ist, wenn es um die Feier der Sakramente geht – manche würden gar sagen: streng oder pingelig –, bekommt in diesem Licht eine ganz neue Bedeutung. Statt von Engstirnigkeit, könnte man auch von einem sensiblen Verantwortungsbewusstsein reden, statt von Rigorismus von dem Bewusstsein, zwar bevollmächtigt zu sein, aber – um mit Guardini zu sprechen – nicht bevollmächtigt bis zur Beliebigkeit. Ich wiederhole hier ein Zitat: „Freiheit besteht nicht darin, das persönlich oder politisch Beliebige, sondern das vom Wesen des Seienden her Geforderte zu tun.“
Wenn die Kirche daher mitunter sensibel auf Vorschläge zu Veränderungen reagiert, muss dies nicht immer ein Zeichen von Traditionalismus sein. Das Argument, „dass es immer so war“, hat innerhalb der Kirche ein ganz eigenes Gewicht, wenn wir bedenken, dass die verantwortungsbewusste Ausübung der uns verliehenen Macht unbedingt an Jesu‘ tatsächliche Worte und Lehre geknüpft werden muss. Der Zugang zu diesen Worten ist aber die Überlieferung derer, die diese Worte gehört und weitergegeben – eben überliefert – haben.
Schluss
Denken wir an die überforderten Jünger am Pfingsttag: Sie haben es sich bestimmt nicht leichtgemacht, sie haben nicht einfach auf ihre kulturellen Instinkte vertraut, als sie entschieden haben, wie die kirchliche Gemeinschaft künftig leben, wirken und sich organisieren sollte. Sie haben sich vielmehr auf das besonnen, was Jesus ihnen mit auf den Weg gegeben hatte. Wenn wir uns heute noch an etwas binden, was eine Gruppe Fischer vor zweitausend Jahren grundgelegt haben, dann nicht aufgrund ihrer beliebigen kulturellen Konditionierung, sondern aufgrund der Worte und Taten Christi, die diese Fischer erlebt und bezeugt haben.
All das unterstreicht, dass es ein Hauptanliegen der Kirche sein muss, die ihr anvertraute Vollmacht verantwortungsvoll auszuüben, ohne sie zu missbrauchen, und an die kommenden Generationen weiterzugeben, ohne sie zu verfälschen. Dies ist eine große Herausforderung. Dies ist unsere Herausforderung. Amen.