Predigt: Pfr. Thomas Pfeifroth
Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46 (erste Lesung) und Mk 1,40-45 (Evangelium)
Halten wir auch genügend Abstand hier in der Kirche, liebe Schwestern und Brüder? Sitzt etwa jemand näher als 1,5 m zum anderen? Tragen auch alle die vorgeschriebenen FFP2- oder OP-Masken?
Vorschriften, liebe Geschwister, die in ihrer Eindeutigkeit in nichts nachstehen gegenüber den Vorschriften, die das Buch Levitikus in der heutigen Lesung für diejenigen festlegt, die einen Hautausschlag haben.
Ein Mensch mit Hautausschlag muss sich bei einem Priester melden. Der hat die Aufgabe, einen ungefährlichen Hautausschlag von einem Aussatz, also von Lepra, zu unterscheiden. Diagnostiziert er Aussatz, dann ist er fortan ein Ausgesetzter, ein Aussätziger. Er ist unrein und darf sich deshalb weder Menschen nähern, noch darf er an einem Gottdienst teilnehmen. Wörtlich heißt es: Der Aussätzige soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungepflegt lassen; er soll ausrufen: Unrein! Unrein! Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten.
Wer also von dieser Krankheit befallen ist, muss von weitem auf sich aufmerksam machen und die anderen warnen, dass diese ihm ja nicht zu nahekommen. Er muss versuchen, vor den anderen zu fliehen. Seine Hautwunden, sein Aussatz, sind dem anderen unzumutbar und deswegen muss er sich verbergen.
Die Zeiten haben sich nicht wesentlich geändert. Heute erledigt die medizinische Diagnose nicht der Priester, sondern der Arzt oder die Mitarbeiter in einem Corona-Testzentrum. Die eingerissenen Kleider sind eher gegen die Jogging-Hose eingetauscht, in strikter Quarantäne zeigt man sich ja eh niemandem. Das Haupthaar – immer ungepflegter wartet es auf einen Friseurtermin.
Der Aussätzige im heutigen Evangelium durchbricht diese Kontaktsperre. Er übertritt die Bestimmungen des Moses und damit die Bestimmungen Gottes. Er sucht die Nähe Jesu. Er schreit nicht unrein! unrein! Nein, dieses Mal schreit er dies nicht, sondern er wagt sich in seine Nähe. Für dieses eine Mal ignoriert er, dass er eine ansteckende Gefahr ist.
Ich will nun, liebe Schwestern und Brüder, diese Geschichte des Aussätzigen nicht auf Biegen und Brechen auf unsere Corona-Situation übertragen. Die Kontakt- und Quarantänevorschriften unserer Tage sind absolut notwendig.
Doch was kann uns Pandemie-Geplagten das heutige Evangelium sagen?
Auch wenn wir keinen Aussatz haben, so fühlen wir uns doch oft so. Es gibt ungesunde, kranke, unreine, dunkle Seiten in uns, die wir vor unseren Mitmenschen verbergen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir alle letztlich mehr oder weniger auch an Aussatz leiden.
Einem jeden von uns hat man in gewisser Weise beigebracht, sich so zu sehen: Dass es Bereiche in unserem Leben gibt, die beschämend sind in den Augen der anderen. Deshalb verbergen wir uns vor unseren Mitmenschen, wir scheuen den Kontakt, wir lassen uns nicht berühren, wir schweigen. Kurz, es ist die Situation von Adam und Eva nach dem Sündenfall, als sie sich schämten und sich vor Gott verstecken wollten.
Mit unseren Mitmenschen müssen wir eine gute Balance finden zwischen Nähe und Distanz. Sie variiert von Mensch zu Mensch. Sie muss mit jedem einzelnen und mit jeder Gruppe individuell ausbalanciert werden. Der Grad von Intimität mit einem bestimmten Menschen bemisst sich auch an dem Grad, wie viel meiner unreinen Seiten ich einem Menschen zumuten kann.
Vor Gott nun, vor Jesus müssen wir uns nicht verbergen. Er kennt uns in- und auswendig. Ihm können wir unsere Unreinheit hinhalten.
Das ist das eigentliche Wunder des heutigen Evangeliums: Der Aussätzige muss intuitiv gemerkt haben, dass Jesus anders ist und göttliche Vollmacht besitzt. Ihm konnte er seinen Aussatz zumuten. Mehr noch, bei ihm hoffte er, von der Krankheit geheilt zu werden.
Wie begegnen wir in der Regel im Gebet Jesus? Warum sollten unser Vertrauen und unsere Freude mehr Recht haben, zu Gott zu sprechen, als unsere Erschöpfung, unsere Zweifel und unsere Wut?
Wie oft hören wir die Stimme Gottes nicht, weil wir meinen, es müsse ein lieblicher und schöner Klang sein, in dem wir beten. Das ist, wie wenn ein Kranker meint, er müsse zuerst gesund werden, um zum Arzt zu gehen. Denn so krank, wie er ist, kann er sich dem Arzt nicht zumuten.
- Unser Glaube ist schwach, weil wir meinen, wir müssten vor Gott stark sein.
- Unser Glaube ist krank, weil wir glauben, wir müssten gesund sein.
Weil wir uns ihm nicht zumuten, wie wir sind, hören wir seine ermutigende Stimme nicht. Nicht nur der fromme Glanz, sondern auch der Schatten meiner Seele, mein eigener Aussatz, kann lernen zu beten.
Amen.